»Vom Parsifal leben und zehren sie Alle. Welch furchtbare Ausdruckskunst! Die Accente der Zerknirschung und der Qual, an denen er sein ganzes Leben geübt hat, finden erst hier ihre endgültige Intensität.« Als Mann 1911 nach dem Besuch der Festspiele die musikalische Wirkung des Werks beschrieb, meinte er wohl auch – unbewusst – die seelischen Folgen, die der »Parsifal« auf sensible und latent zerrissene Gemüter wie ihn selbst hatten. Der Autor des »Tod in Venedig«, eines camouflierten Homosexuellen-Outings, wusste genau, warum ihn Wagners »furchtbare Ausdruckskunst« »recht eigentlich« (um es im Stil Thomas Manns auszudrücken) im Innersten berührte. Diese Art der Auslegung musste absolut nichts mit den religiösen oder schein-religiösen Intentionen des musikalischen Kunstwerks »Parsifal« zu tun haben, um richtig zu sein.
Parsifalwörterbuch
Heinrich Porges
»… so hat R. Wagner im ‚Parsifal‘ die bewunderungswürdige That vollbracht, die gottesdienstliche Feier – von der wir früher gesagt haben, daß in ihr in der modernen Welt einzig das Gesammtkunstwerk lebendig geblieben war, – wiederum in der Form des Drama’s zur Darstellung zu bringen«. Porges war ein energischer Wagnerianer, der als Nietzscheaner das christliche Heilsgeschehen als Mythos und die katholische Messe als Vorläufer des »Gesamtkunstwerks« auffasste. Indem Porges den (antichristlichen) Philosophen und Wagner zusammendachte, rehabilitierte er das Dionysische im neuen Wagnerschen Gottesdienst – womit er, ohne es in seiner Rezension vom 6. August 1882 ausdrücklich zu sagen, die Rekonstruktion der Geisteswelt der Tragödien der antiken Dichter einklagte. In diesem Sinne stand Wagner für etliche Zeitgenossen in einer Tradition, die die 2400 Jahre alten Dramen mit der Gegenwart verband.
Eduard Hanslick
Der prominenteste und gefürchtetste Wiener Musikkritiker, der Wagner seit Jahrzehnten bekämpfte, konstatierte nach der Uraufführung, dass Wagner »nur in den christlichen Mysterien das Heil der Kunst zu finden« scheine, wobei er in seiner Rezension vom 25. Juli 1882 ein Wort von Franz Grillparzer auf den alten Wagner münzte: »Religiosität ist die erste Weingährung des sich bildenden und die faule Gährung des sich zersetzenden Geistes.« Dies zeigt, dass Hanslick die kunstreligiösen Aspekte des Werks, dessen Kern er »krank« nannte, nicht zur Kenntnis nahm, sondern die historisch gewordene Gralsgeschichte, wie sie Wagner bearbeitet hatte, in Gegensatz zum »echten Christentum« der Gegenwart interpretierte.
Friedrich Nietzsche
»Dies Nonnen-Äugeln, Ave-Glockenbimmeln (…) Denn was ihr hört, ist Rom – Roms Glaube ohne Worte!«
Für Nietzsche war Wagner 1888 ein falscher, da »undeutscher« Prophet, ein »Apostel der Keuschheit«, der »Parsifal« ein »Attentat gegen die Sittlichkeit«. Der Vorwurf an Wagner, dass dieser plötzlich »fromm« geworden sei, speist sich einerseits aus Nietzsches kategorischer Ablehnung gegen die Person Wagner, zum anderen aus dem Verständnis des »Parsifal« als grundchristliches, in diesem Sinne: erzkatholisches Werk, wozu einzelne Elemente – die Gralsenthüllung als (allerdings pervertiertes) Abendmahl und die christusgleiche Erscheinung Parsifals im 3. Akt – die Zeitgenossen provozieren mussten, die gerade (1887) den »Kulturkampf« mit den »Ultramontanen«, also den Katholiken, beendet hatten.
Parsifal-Interpretionen
Kaum ein Werk Richard Wagners ist so umstritten wie der Parsifal. Von je her war man sich darüber uneinig, welchen Sinn das »Bühnenweifestspiel« besitzt. Dr. Frank Piontek wird anlässlich der Neuinszenierung des Parsifal bei den Bayreuther Festspielen 2023 einige Sätze aus der Deutungsgeschichte des Stücks holen und einordnen.
Richrd Wagner
Wagner selbst bezeichnete sein Werk gegenüber Cosima Wagner als seine »letzte Karte«. In einem wesentlich früheren Stadium der Werkentstehung betonte er das »Grundböse« des Stücks: Der Mittelpunkt sei Amfortas, der nichts als sterben möchte, aber angesichts »seiner Wunde« und des (ihn anklagenden) Grals nicht zu sterben vermag. Von hier aus deutet Wagner die Handlung in einem größeren Zusammenhang: »Leiden der Menschheit in alle Ewigkeit fort!« »Liebe – Glaube – Hoffen?« – so lautet Wagners, für Ludwig II. 1880 notierte Überschrift zum Vorspiel des Parsifal. Das Fragezeichen weist darauf hin, dass mit dem Finale seines »Weltabschiedswerks« noch kein »erlösender« Endpunkt des »Leidens der Menschen« erreicht sei, das mit dem Leiden (und der »Sünde«) des Amfortas parallelisiert wird.